Karin Reddemann: Goethes Liebchen

Goethes Liebchen

© Karin Reddemann

Karin Reddemann: Gottes kalte GabeWäre gern Goethes Liebchen gewesen. Habe dann von seinen üblen Zähnen erfahren, bedauerte und träumte nicht weiter. Küsste ihn heimlich auf die Wange, ließ ihn väterlich meine Stirn befeuchten, duldete aber seine Lippen nicht länger auf meinem Mund. War auch böse mit ihm. Hat sich lächerlich gemacht als Greis, wollte immer noch Frischblut und spuckte sein abgestandenes altes. Habe ihn vergöttert, einstmals, verstand nicht, warum er sich mit Christiane abgab. Liebte den Schwarzäugigen, hing mir Warhol über den Schreibtisch, der ihn bunt und italienisch gemalt hatte. Wusste, dass er gesoffen hat. War trotzdem beeindruckt. Benebelt und brillant, wer kann das schon. Schwärmte weiter von ihm im Verborgen, kniff die Augen zusammen und zeichnete mir sein Bild. Weinte über Werthers Tod und zauberte ihn wieder ins Gras zurück, dort, wo er lag und mikroskopisch seine traurige Lust atmete. Stellte mir vor, mit ihm in seinem Garten zu sitzen, ich breitbeinig auf seinem Schoß, während er diktierte, züchtig im bodenlangen moosgrünen Kleid, die Haare hochgesteckt, wie es sich gehörte, splitternackt unter dem Rock, damit er tasten und seufzen konnte, wenn er es wünschte.

Er war nicht meine erste große Liebe. Der dicke Karsten Rüderling aus der zweiten Grundschulklasse tippte mir beim Kindergottesdienst von hinten auf die Schulter und drückte mir wortlos Fruchtkaramellen in die Hand. Für mich ein s tilles Verlöbnis, das mich zutiefst erschreckte. Grundsätzlich schwärmte ich für Tobias Gartmann, der dünn und lustig war. Wir warfen uns in der Pause gegenseitig die gelbkarierte Wollmütze von Franz-Josef „Franjo“ Pitters zu, die Maria Fricke, fett und stark, ihm vorher weggerissen hatte. Freuten uns gemeinsam, wenn Franjo heulte und uns mit seinem Großvater drohte. „Der kommt und verkloppt Euch.“ Ich war mir sicher, heil davon zu kommen, war ja eine Frau. Die verhaut man nicht. Dachte ich, bis Martin Deverdin mir einen Faustschlag verpasste. Das war in der dritten Klasse. Ich hatte „Hornbrille, Hornbrillchen“ zu ihm gesagt, weiß gar nicht, wieso. Ich war ein stilles Kind mit Propellerschleife im hüftlangen Pferdeschwanz und kauerte stumm in der Ecke, um zu lesen. Zu malen. Düstere, schöne Farben. Braves Mädchen, das so tat, als höre es nicht zu. Bekam aber alles mit. Tobias rächte mich, zog Franjo im Blockflötenunterricht den Stuhl unter seinem Hintern weg. Meine Phantasien starben, als er mir unter den Rock guckte. Ich hatte ein gewaltiges Pflaster unterhalb der linken Pobacke kleben, weil ich über einen Zaun geklettert und hängen geblieben war. Das wollte er unbedingt sehen. Er zog mir das Kleid hoch, während ich die Kreide abwischte, die versammelte 4a war Zeuge. Ich weinte heimlich.

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Karin Reddemann: Gottes kalte Gabe
Karin Reddemann
Gottes kalte Gabe
Dr. Ronald Henss Verlag
Taschenbuch und eBook

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Kurzgeschichten von Karin Reddemann

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Stichwörter:
Kurzgeschichte, Karin Reddemann, Liebchen, Goethe, Warhol, Werther, Tod

Karin Reddemann: Flachmann

Flachmann

© Karin Reddemann

„Schätz‘ mal die Zahl der Flachmänner in den Handtaschen.“ Cool Big Benny strahlte. War in seinem Element. Bernhard von Kneussow, der sich als Leadsänger der legendären „Bluebluesband“ diesen Beinamen zu Recht verdient hatte, starrte grinsend in die Runde, nippte an seinem französischen Mineralwasser, zog an der französischen Filterlosen, sagte: „C’est la vie, Kumpel.“ Mehr konnte er nicht. Nicht mehr. Natürlich nicht seine Schuld. Hatte seinen langhaarigen kackbraunen Lehrer prinzipiell nicht gemocht, der ständig krank war und noch braungebrannter wieder am gemischten Hölderlin-Gymnasium anmarschierte, um schleunigst wieder krank zu werden. Der Typ hatte die Revolution in ihm geweckt. Unterricht bei einem näselnden Übriggebliebenen, der den Mädels über die Haare fuhr und Pfefferminz kaute, um den gefährlichen Geschmack der Nacht unverdächtig zu machen, schrie nach Verweigerung. Nach einem Jahr mit zweihundert Lücken strich Benny den schönen Jean Kolkewitz, der grundsätzlich Erwin hieß, aus seinem Stundenplan. Wählte Niederländisch und würgte, wenn er vorlesen musste. Eine Sprache, die nach Brechreiz brüllte. Keine Spur geeignet, um verbal zu beglücken. Französisch, klar, das wär’s gewesen. Damit macht man Frauen nass. Heute sah Benny die Sache mit dem schönen Jean anders. Fast beneidenswert, diese geschickte Lebenseinstellung. Flog zwar von der Schule, lachte sich aber vermutlich heute noch eins ins gegrillte Fäustchen. Irgendwo an der Riviera, wo er krank in der Sonne lag und Pernod kippte und Yvette das Haupt verstrubbelte. Ohne Pfefferminz. Ohne weitere Hemmungen. Seine flinken Finger wandern ließ für Feuchtes und Steifes, das Cool Big Benny mittlerweile genauso lieb und teuer war. Lediglich den Pernod und sonstiges Gute verkniff er sich zur Zeit, offiziell freiwillig, musste sein, sonst hätte Viktor von Kneussow ihm sein lustiges Leben versaut. „Junge, Du machst jetzt was dagegen, sonst wird’s verflucht dünn für Dich.“ Der dicke Patriarch hatte gesprochen. Moralist, alter. Soff doch selbst. Von wegen gepflegter. Da gab es keinen verdammten Unterschied zwischen angestaubtem Weinbrand aus dem Keller und Jägermeister von der Tanke. Kickte beides. Wäre ja noch schöner. Guter Cop. Böser Cop. Feiner Alkoholiker. Penner. Cool Big Benny erklärte sich trotzdem für therapiebereit. Grinste immer noch über seine Show. Brav gemacht, er war wieder dabei.

Hätte das nicht machen müssen, Müssen müssen andere. Aber wenn Vater im Schlamm wühlt, wühlst Du halt mit. Aus Gefälligkeit. Er hat die Kohle. Die verfluchte Macht in der Tremor-geplagten Faust, um Deine Kehle zu umklammern. Dir das Wasser ab zu sperren. Und Mutter heult. Sieht Dich mit ihren roten hässlichen Augen an und schreit nach ihrem Baby. Um zusätzlichen Honig auf die senilen Seelen zu geben, sprach Benny zugeknöpft und blass von Therapiefähigkeit. Wort der Hoffnung. Mental wie eine Zitrone zerquetscht. Die war selbstverständlich nicht vorhanden, sollten die doch andere zuquatschen, er brauchte kein Talent, um Müll fressen zu können. Da hörte der Spaß auf, da ging die gesunde Blockade los. Er war hier deplatziert, er war besser als Manni Kerkmann mit seinen verbundenen Handgelenken. Kann nicht mehr, jaja. Besser als diese Anwältin, Freda Busch oder so, Name vergessen, war zu fett und zu weiß, die Zündkerzen in der Robe hatte und über ihren fingerfertigen Onkel heulte. Allemal besser als Lisa Feyka, die morgens kotzte und schluckte und wieder kotzte und schluckte. Hinterhofbude, kein Schulabschluss, drei namenlose Bälger am Hals, alles klar. Hörte sich trotzdem die Psychokacke an, wollte schließlich weiter mit in Papas Liga spielen. Plauderte lieb über üblen Umgang und neurotische Eltern mit Erfolgszwang im Nacken, mit dem sie ihn bissen. Ganz der Geschmack der Sensiblen. Er war Profi. Säuselte leise von seinem Medizinstudium, das imponierte, wusste er. Stand vor dem dritten Examen, so was erzeugt Ehrfurcht. War den Laberköppen ohne Kittel, den Kittel trugen die mit Absicht nicht, um nahe zu sein, haushoch überlegen. Sprach von Susanne Klosterhoff, die an Leukämie gestorben war. Tat so, als hätte sie ihm das Ruder aus der Hand gerissen. Kannte die graue Tante gar nicht wirklich, war ihm egal. Hauptsache, überzeugen. Tragisch wirken. Bekümmert. Einsichtig. Es kotzte ihn an, aber er mischte lautstark mit. Trank den lauwarmen Tee, der nach Blüten schmeckte, die nicht gegessen werden wollen. Lauschte er griffen kitschigen Klaviersonaten, zu denen Schwester Sonja, die Fettärschige, ihren Senf abgab. Schloss die Augen und träumte, wenn er es sollte, dachte an Svenja Gutlieb und hätte sich auf der Plastikmatte gern einen runtergeholt. Stattdessen sprach er von Goethes Gartenhaus und freute sich über den stummen Applaus. Hörte ergriffen zu, als Saskia Mortens, mit dicken Klunkern behangen, die dünnen Lippen knallrot geschminkt, die wenigen Wimpern eingetunkt in Schwarz, von den Flachmännern erzählte. Die in den Handtaschen der chicen Frauen, die auf dem Clo verschwinden, bevor es Zeit wird, elegant am Champagner zu nippen. Fragte sich, wo die Männer ihr Elexier verstecken. Flachmann statt Hasenpfote. Er grinste wieder, sah sich um in der aufgemotzten Meute, nickte seinem Vater mit seinem Franzosenwasser zu, dachte an später, sah Johnny Schwarz aufmunternd an. „Na, wie viele Flachmänner in den Krokodilledertäschchen?“

Johnny, sein alter Bandkollege, war irritiert. Die Stimme der Blueblues hatte sich verändert. War härter, zynischer. Er dachte an ihren letzten großen Auftritt in der Schmiede in Gogginghausen. Cool Big Benny in schwarzer Lederhose, blonde lange Locken, mit dem Mikro in der Hand, das er um seinen Leib kreisen ließ wie einen Vibrator, der gleich, jetzt, endgültig zum Einsatz kommen sollte. Zwischendurch Wodka pur. Die Mädels kreischten. Benny heulte „Komm‘ in mich, asoziale Schlampe“, das hatte Stefan “ Sweet Stuffi“ Friedsheffner, der Drummer, getextet. Waren jetzt alle auseinander geflogen, mussten alle irgendwo irgendwas studieren, sogar Conny Bauer, die Saxophonistin, die geil und blöd war. Machte einen auf Philosophin. Kant hätte erst gekotzt und sie dann von hinten genommen. Dachte Johnny und starrte Benny an. Mediziner. Der. Kippte sich auf diesem lausigen Polizeiball mit Nullpromille voll, um Smokingpapa zu imponieren. Kannte er schon. Und vorher. Nachher. „Wo hast Du Deinen, Doc?“ Benny grinste. „Bin trocken, Mann!“

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Stichwörter:
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